Rückt Emmendingen mehr ans Meer?

Autor: Anselm Bußhoff

Wer jung und hungrig ist, sehnt sich zweifellos nach mehr von allem – mehr Jahre, mehr Geld, mehr vollem Magen. „Jung & hungrig“ heißt auch die Freiburger Werbeagentur, an die sich die Stadt Emmendingen wandte, um ein frisches Image samt entsprechender Marketingkampagne entwerfen zu lassen. Was lag da näher als einen Spruch auszupacken, den sich die durchaus renommierten Werbestrategen einst in die Wiege gelegt haben könnten: Mehr von allem!

Mehr Schwarzwald oder mehr Kaiserstuhl? Emmendingen Stadttor gilt als Pforte zu Schwarzwald und Kaiserstuhl. Bilder: Anselm Bußhoff

Und da Kreativköpfe gemeinhin Dinge verbal variabel hindrechseln können, verknüpfen sie die letzten beiden Buchstaben des Slogans mit dem „EM“ des Autokennzeichens der Stadt. Das einleitende „Mehr“ entlehnen sie zuvor recht frei dem Namen des Emmendinger Flugpioniers Carl Friedrich Meerwein. Für Kenner der deutschen Rechtschreibung liegt dies phonetisch mehr am Meer als inhaltlich, verführte bei der Vorstellung aber dennoch einen der Gemeinderäte zum Ruf nach mehr Freibier.

In den Besucherreihen „räusperte“ sich unterdessen mit Frauke von Troschke lauthals die Gründerin des Tagebucharchivs. Für sie ist Emmendingen vor allem die Stadt der Tagebücher. Mehr Tagebücher gibt’s sonst nirgends. Unmut äußerte aber auch eine Gemeinderätin, die eine Imagekampagne eher an eine Frau wie Cornelia Schlosser denn einen Mann angelehnt sehen will.

Zweifellos ist es Emmendingen mit der Goethe-Schwester gelungen, einen Zipfel von der Welt des Dichterfürsten zu erhaschen. Doch taugt Cornelia Schlosser, die hier im Alter von nur 26 Jahren starb, als Werbeikone? Laut den Geschichtsbüchern verbrachte sie von 1774 bis zu ihrem Tod im Jahre 1777 in dem damals 900 Einwohner zählenden Marktflecken eine intellektuell wenig ansprechende, unglückliche Zeit. Emmendingen erinnert daher lieber an zwei Besuche ihres Bruders, auch wenn diese wohl weniger der Stadt als vielmehr seiner Schwester galten. Nach dem ersten Aufenthalt im Jahre 1775 konnte Johann Wolfgang von Goethe beim zweiten vier Jahre später bereits nur noch ihr Grab aufsuchen.

Jedoch ist auch der von der Agentur zum Vorzeige-Emmendinger erkorene Carl Friedrich Meerwein nicht ganz ohne Abgründe. Mit seiner Theorie, wonach der Mensch mit Fähigkeiten zum Fliegen geboren sei, und seinem „Ornithopter“ genannten Flugapparat stürzte er 1784 mehr vom Burghang als dass er flog. Dank des durch einen Misthaufen abgefederten Aufpralls brachte es Meerwein immerhin zum Namensgeber einer Grundschule und landete zwei Jahrhunderte später zudem auf einem Brunnenstock mit den drei namhaftesten Persönlichkeiten der Stadt – neben Goethe und dem in Emmendingen geborenen Maler Fritz Boehle.

Der Vorwurf eines Gemeinderates, mit dem Entwurf der Imagekampagne seien gottlob nur Fördergelder des Bundes zum Fenster rausgeworfen worden, scheint indes überzogen. So freute sich der Sprecher der CDU-Fraktion, Joachim „Jo“ Saar, über das neue Stadttor-Logo. Dieses wirke auf ihn nicht mehr so traurig wie das derzeitige. Auch am Slogan dürfte er Gefallen finden. Mit jungen und hungrigen Bewerbern wollte Emmendingens Junge Union (JU) einst frischen Wind ins angegraute Kommunalparlament bringen. Saar war einer von zwei JU-Kandidaten, die 1980 den Einzug schafften. Inzwischen bringt er es auf satte 39 Amtsjahre in diesem Gremium. Mehr als alle anderen. Und beim Blick auf die Listen für die Kommunalwahl Anfang Juni wird klar: Mag’s andere eher ans Meer zieh’n, ihn reizt mehr Emmendingen!

Mehr von allem: Mehr Sichtbarkeit, mehr einheitliches Auftreten und dadurch mehr Aufmerksamkeit erhofft sich die Stadt Emmendingen von einem neuen Marketingkonzept.

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